Sitzen wir uns zu Tode?

Mehr als neun Stunden pro Tag verbringt der moderne Erwachsene sitzend, manche deutlich mehr. Das wirkt sich ungünstig aufs Herz-Kreislauf-System aus und verkürzt statistisch das Leben.

Menschheitsgeschichtlich betrachtet, ist es noch nicht allzu lange her, dass das Leben überwiegend aus Gehen, Laufen und Stehen bestand. Jäger und Sammler ebenso wie Bauern und Viehhirten waren den Großteil des Tages auf den Beinen, um ihr Auskommen zu sichern. Genau darauf ist der menschliche Körper auch angelegt: Bewegung.

Davon allerdings mutet der moderne Mensch ihm immer weniger zu. Stattdessen wird ausgiebig gesessen, im Beruf wie zu Hause. Die Zahl der Büroarbeitsplätze in Deutschland stieg zwischen 2006 und 2016 um 16 Prozent. Damit verbringen knapp 18 Millionen Menschen hierzulande ihre Arbeitszeit im Schreibtischstuhl. Laut dem Digitalverband Bitkom arbeitet mittlerweile sogar mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen vor einem Monitor, meist sitzend.

Nach Feierabend sieht es nicht viel besser aus: Ob die Spielkonsole, ein Buch, Netflix oder herkömmliches Fernsehen lockt, meist wird gesessen. So kommt mancher Erwachsene auf 14 oder mehr sitzend zugebrachte Stunden pro Tag, im Schnitt gehen Schätzungen von 9,3 Stunden aus.

Erhöhtes Sterberisiko durch ausgiebiges Sitzen
Dass Sitzen dem Herz-Gefäß-System nicht guttut, wurde in einer Vielzahl von Studien belegt. „Wenn wir sitzen, geht der Körper gewissermaßen auf Sparflamme: Die Aktivität fettverbrennender Enzyme sinkt, der Kalorienverbrauch ebenso, der Blutzucker dagegen steigt. Der HDL-Cholesterin-Spiegel – HDL ist das ‚gute‘ Cholesterin, das Arteriosklerose vorbeugt – fällt ebenfalls ab“, erklärt der in Berlin-Prenzlauer Berg praktizierende Herzmediziner Peter Hoffmann.

Im Effekt steigt durch langes Sitzen das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen deutlich an. So wurde schon in den 1950er-Jahren beobachtet, dass Londoner Busfahrer ein doppelt so hohes Herzinfarktrisiko hatten wie ihre Schaffnerkollegen, die bei der Arbeit auf den Beinen waren. Eine britische Mammutstudie mit Daten von 800.000 Probanden belegte 2011 ebenfalls eindeutig, dass Menschen mit sitzender Berufstätigkeit ein signifikant erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen aufweisen. Australische Forscher errechneten auf der Basis von 220.000 Patienten-Datensätzen, dass Personen, die täglich mehr als elf Stunden lang sitzen, ein um 40 Prozent höheres Sterberisiko haben als solche, die weniger als vier Stunden auf ihren „vier Buchstaben“ verbringen.

Um gesünder zu leben, muss man als Büroarbeiter nicht gleich einen anderen Job suchen. Wichtig ist, den Körper immer wieder in Bewegung zu bringen, die Position zu wechseln, mit den Zehen zu wackeln. Jede halbe Stunde sollte eine Bewegungseinheit eingelegt werden. Auch Stehschreibtische sind zu empfehlen, um zwischen Sitzen und Stehen wechseln zu können. Und natürlich sollte auch die Freizeit nicht überwiegend im Sitzen verbracht werden.